Streetwork
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06.06.2014: Bettelnde / Notreisende Menschen in Innsbruck
Hier angeführt die Statistik unserer Institution plus Stellungnahme zur Thematik.
Aufgrund der Gesetzesänderung im Tiroler Landespolizeigesetz (§ 10), der Zunahme bettelender Menschen in Innsbruck, und auch aufgrund medialer Tätigkeiten und regem Interesse an dieser Thematik seitens der Öffentlichkeit, haben die Mitarbeiter der Institution Streetwork des Vereins für Obdachlose eine Erhebung durchgeführt.
Im Vorfeld wurde eruiert, welche Straßenzüge und Plätze am meisten frequentiert wurden, diesbezüglich wurde die geographische Einordung ermittelt.
Die Anzahl der Erhebungs- „Tage“ wurde auf die personellen und zeitlichen Ressourcen abgestimmt.
Der Zeitrahmen verschafft einen recht guten Überblick über die Situation in Innsbruck.
Geographische Einordnung:
Anfang Rapoldipark (Sillbrücke), Bahnunterführung: Kreuzung Ing. Etzel Straße, Museumsstraße, Bruneckerstrasse, Museumstrasse, Franziskanerplatz, Altstadt, Marktgraben, Maria Theresienstrasse (bis Höhe Anichstrasse), Marktgraben, Ursulinenpassage, Bus – Terminal, Marktplatz.
Zeitraum:
Beginn: Dienstag, 11. 3. 2014
Ende: Donnerstag, 08. 05. 2014
Zwei mal wöchentlich, zu je mind. 2 Stunden.
Erhoben wurden: Geschlecht, Name, Nationalität, Ort und Schlafplatz / -möglichkeit.
Ausschließlich bettelnde Menschen wurden erfasst.
Gesamte Kontakte / im Zeitraum angetroffene Personen: 171 ( inkl. Mehrfachnennungen)
Männliche Kontakte: 97
Weibliche Kontakte: 74
Durchschnittlich angetroffene Personen pro „ Tag“: 10,68
Herkunftsländer:
Rumänien, Ungarn, Slowakei, Ungarn/Slowakei (Grenzgebiet),Bulgarien, Österreich
Bemerkungen zu den Resultaten:
Die meisten Menschen, die in Innsbruck betteln, sind akut wohnungslos, müssen im Freien schlafen. Einige von ihnen übernachteten (bis zur Schließung Mitte April) in der Winternotschlafstelle Trientlgasse, welche die einzige Nächtigungsmöglichkeit für diesen Personenkreis darstellte.
Die basische Versorgung Essen, Bekleidung, medizinische Grundversorgung ist gewährleistet (unter der Voraussetzung, dass diese Menschen Kenntnis von den Angeboten haben)
Es bestehen keine Rechtsansprüche auf Sozialleistungen für diesen Personenkreis, bzw. ist anzumerken, dass keiner dieser Menschen die Voraussetzungen für zum Beispiel den Bezug von Mindestsicherung (ehem. Sozialhilfe) erfüllt.
Zudem wurde festgestellt, dass sowohl Einzelpersonen, als auch Familien hier sind.
Organisation im Sinne von Stellplatz / Sitzplatz – Aufteilung konnte beobachtet werden, bzw. wurde dies bestätigt. Organisierte kriminelle Handlungen, „Hintermänner“, Bandenbildung, etc. konnte nicht festgestellt werden, bzw. ist nicht bekannt.
Von den Personen aus Rumänien ist festzustellen, dass sie teilweise der Minderheit der Roma angehören, bzw. aus Regionen kommen, die als strukturschwach bezeichnet werden können. Eine hohe Arbeitslosenrate, geringe Sozialleistungen, aber zunehmend steigende Lebenshaltungskosten können als Gemeinsamkeit der Herkunftsländer betrachtet, und als Gründe für das Kommen dieser Menschen betrachtet werden.
Das Recht, arm zu sein!?
Seit der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, dass ein generelles Bettelverbot gegen den Gleichheitsgrundsatz der Menschenrechte verstößt und die Länder deren Landespolizeigesetze diesbezüglich anpassen mussten, wird dieses Thema in den Medien und der Politik österreichweit diskutiert.
„Bettelmafia, organisierte Banden, kriminelle Elemente, Bettlerunwesen“, sind nur ein kleiner Auszug der Zuschreibungen, mit denen von Armut betroffene Notreisende nun auch in Tirol konfrontiert werden.
Die Forderungen und Vorschläge wie reagiert werden sollte, basieren leider auf oben erwähnten, diskriminierenden, falschen Sichtweisen, und bieten einen Rahmen der Meinungsbildung, der nicht der Realität entspricht.
Pauschalisierungen von Randgruppen in der Gesellschaft tragen oft zur Meinungsbildung bei. Aufgrund falscher Tatsachen Ängste zu produzieren und unrealistische, destruktive „ Lösungsansätze“ zu entwickeln, wie zum Beispiel Registrierung der Personen, Schuhe putzen, bis zu einem örtlichen Bettelverbot in der gesamten Innenstadt, etc. , werden in der Konfrontation mit von Armut betroffenen Menschen auch in Innsbruck nicht hilfreich sein, sondern führen lediglich zu einer Weiterführung der Stigmatisierung der Betroffenen.
Schnelle Erfolge durch Vertreibung der Personen (als Beispiel, wie es bereits schon durch Alkoholverbote, Schutzzonen, „angstraumreduzierende Maßnahmen“, etc. geschah) sind menschenunwürdig und gesellschaftspolitisch nicht zielführend. Notreisenden Menschen wird pauschal unterstellt, ihre Armut und Krankheit vorzutäuschen, sich kriminell zu organisieren, Kinder zur Gewinnmaximierung zu missbrauchen, und „unterm Strich enorme Summen zu verdienen“: Es wird so ein falsches Bild kreiert, um von Armut betroffene Menschen „legitimiert“ ignorieren, aber auch vertreiben zu dürfen.
Menschen, die auf Grund der Perspektivenlosigkeit im Heimatland und der fehlenden Möglichkeiten, mit den ihnen gegebenen Ressourcen das Leben ihrer Familie zu sichern, gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, werden so zu kriminellen „Unmenschen“ degradiert.
Das Recht der Freizügigkeit garantiert allen Menschen der gesamten europäischen Union in einem anderen Mitgliedland sich bis zu einer Dauer von drei Monaten aufhalten zu dürfen. Dies gilt nicht nur für Tourist_innenen, Schlüsselkräfte, Akademiker_innen, Spitzensportler_innen, etc., sondern auch für Saisonarbeitskräfte im Tiroler Tourismus, der Landwirtschaft und eben Menschen, die betteln müssen.
Fakten und Vorschläge
· Die Erhebung über zwei Monate zeigt klar, dass es sich im Schnitt um etwas mehr als 10 Personen pro Vormittag handelt, die in Innsbruck betteln. In der Relation zur Größe der Stadt und deren Einwohner_innenzahl eine sehr geringe Summe.
· Jemandem Geld zu geben liegt im Ermessen des Einzelnen und bedarf keiner Regulierung.
· Das Recht auf seine Notlage aufmerksam zu machen muss unabhängig von Ort und Zeitraum möglich sein.
· Bereitstellung von Nächtigungsmöglichkeiten als Mindeststandards für akut wohnungslose Personen (freier Zugang zu bereits existenten Notschlafstellen).
· Bedarfsgerechte sozialarbeiterische, weiterführende, beratende Angebote zur Verbesserung der Ausgangssituation und Perspektivenschaffung.
· Forderung nach einer differenzierten Berichterstattung, sowohl seitens der Medien, als auch die Forderung an Politiker_innen, und damit Meinungsbildner_innen, sich von bereits widerlegten Alltagstheorien und Stereotypen öffentlich zu distanzieren.
· Tirol verfügt über ein sehr klares Landespolizeigesetz, welches das Leben im öffentlichen Raum regelt (öffentlicher Anstand, Grundsätze der Schicklichkeit, Lärm, betteln, etc.). Weitere rechtliche Grundlagen sind das Jugendwohlfahrtsgesetz (Kindeswohl) oder das Strafgesetzbuch (Drohung, etc.), Straßenverkehrsordnung (StVO, Behinderung des Gehweges, etc.), Es bedarf keiner weiteren neuen Gesetze.
· Die Kriminalstatistik In Österreich, Tirol und Innsbruck ist rückläufig, die Aufklärungsquote ist gestiegen. Bettelnde Menschen sind nicht per se kriminell!
· Infrastrukturschaffende Projekte in den Herkunftsländern.
· Die EU ist gefordert, das Problem der Ungleichheit zu bekämpfen, sich für Minderheiten auszusprechen, Richtlinien auszuarbeiten und sich der Lebenssituation der Notreisenden anzunehmen.
Mag (FH) Michael NEUNER DSA Franz WALLENTIN
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